Sonntag, 12. Januar 2014

Abkürzung mit dem Fahrrad über Privatgrundstück - Verletzung an wahllos gespanntem Stacheldraht - Schuldvermutung der Grundstückbesitzers - keine Schuldvermutungsbefreiung

Ein Fahrradfahrer war auf dem Briddeler Plateau in Luxemburg unterwegs. Während der Fahrt entschied sich der Fahrradfahrer H. eine Aufkürzung durch eine ungezäunte Wiese zu nehmen und beschloss kurzerhand die öffentliche Strasse zu verlassen.

Beim Durchqueren der Wiese stieß der Fahrradfahrer H. gegen Stacheldraht der vom Grundstückbesitzer O. wahllos zwischen einem Baum und einem Pfosten gespannt worden war.

Fahrradfahrer H. zog sich schwere Verletzungen zu.

Fahrradfahrer H. klagt auf Schadensersatz gegen Grundstückbesitzer O. und bekommt aufgrund vom Schuldvermutungsprinzip gemäss Art. 1384 abs. 1 LZGB beim Bezirksgericht Luxemburg recht. Grundstückbesitzer O. geht gegen dieses Urteil in Berufung und argumentiert Fahrradfahrer H. hatte nichts auf dem Privatgrundstück zu suchen.

Grundstückbesitzer O. wirft den ersten Richtern eine falsche Auslegung von Art. 1384 abs. 1 LZGB vor und ist der Auffassung er befreie sich sowieso aus der Schuldvermutung, da Fahrradfahrer H. mit der unerlaubten Abkürzung einen schuldbefreienden Fehler beging.

Fahrradfahrer H. ist der Meinung, dass der Stacheldraht an einer anormalen Stelle angebracht war und der Stacheldraht zudem nicht besschildert war. Des Weiteren ist Fahrradfahrer H. mit der Abkürzung kein besonderes Risiko eingegangen. In der Tat war er nur mit dem Fahrrad spazieren fahren und hat an keinem Wettbewerb teilgenommen.

Das Berufungsgericht stellt fest, dass Grundstückbesitzer O. nicht bestreitet der Wächter des Stacheldrahtes zu sein. Der gespannte Stacheldraht  war zudem unbeweglich und befand sich an einer anormalen Stelle (zur Erinnerung: wahllos zwischen einem Baum und einem Pfosten). 

Hier gelten folgende Prinzipien: Eine Sachlage, die, durch fremdes Betreiben, jedermanns legitimes Vertrauen täuscht, ist ein Schadensursprung. Es ist ebenfalls legitim gegen jede plötzliche und unerwartete Sachlage versichert zu sein, egal ob diese Sachlage auf ein fehler- oder nicht fehlerhaftes Betreiben eines Dritten verschuldet wird oder durch ein unerwartetes Ereignis.

Da in diesem Fall nicht bestritten wird, dass der Stacheldraht an dieser Stelle keiner besonderen Verwendbarkeit zugeordnet ist (dient z.B. nicht als Pforte zur Wiese oder dem Einpferchen von Vieh) und somit ein bisschen verloren auf einer nicht eingezäunten Wiese errichtet wurde, konnte der Fahrradfahrer H legitimerweise nicht erwarten auf Stacheldraht zu stoßen.

Aus diesem Grund kann Grundstückbesitzer O. sich nicht aus seiner Schuldvermutung gemäß Art. 1384 abs. 1 LZGB befreien.

(Berufungsgericht Luxemburg, 27. Juni 2000)

[Schuldvermutung - Art 1384 abs. 1 Luxemburger Zivilgesetzbuch (LZGB) - Schuldvermutungsbefreiung - Fahrrad - Privatgrundstück - Stacheldraht -  Abkürzung]


Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la Cour