Sonntag, 9. März 2014

Die Strasse ist kein Spielplatz: Versteckspielen von Kindern auf der Strasse - der vorausschaudende Fahrer entzieht sich aus der Schuldvermutung

Minderjährige Kinder, zirka 10 Jahre alt, spielten Versteckspiel in der der "rue Adolphe Fischer" in Luxemburg-Stadt.

Eines der Kinder Namens B. war hinter einem stationierten Auto versteckt. Als die anderen Kinder B. von weit entdeckt hatten, stürmte B. aus seinem Versteck raus auf die Straße, um nicht gefangen zu werden und versuchte vergebens zum Mal ("Save Point") zu laufen .

Zum gleichen Augenblick fuhr Fahrer P. mit geringer Geschwindigkeit an dieser Stelle vorbei. Urplötzlich erschien die Silouette von B. vor der Motorhaube von Ps. Wagen.  Jedes Bremsmanöver kam zu spät. B. wurde angestoßen und arg verletzt.

Die Eltern, in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter von B., klagen und berufen sich das Schuldvermutungsprinzip aufgrund von Art. 1384 abs. 1 LZGB. Fahrer P. hingegen findet, dass er sich ganz aus der Schuldvermutung befreit, da das Opfer B. fehlerhaft handelte.

Das Gericht erinnert, dass der Wärter sich sehr wohl aus der Schuldvermutung befreien kann wenn dieser beweist, dass das Opfer oder ein Dritter schuldhaft handelte. Diese Schuldvermutungsbefreiung kann jedoch nur teilweise erfolgen, wenn der Fehler vom Opfer nicht der ausschließliche Grund des Unfalls ist und die Prinzipien der Höheren Gewalt (Unvorhersehbarkeit u. Unaufhaltsamkeit) nicht gegeben sind.

Ein minderjähriges Kind ist aufgrund von Art. 1384 abs. 1 LZGB verantwortlich wenn es eine Handlung macht die zu einem Schaden führt.

Es ist aus dem Sachverhalt erwiesen, dass das Kind B. beim Versteckspiel urplötzlich, ohne sich um die Anwesenheit von herannahenden Wagen zu scheren, über die Fahrbahn stürmte. Dieser Sachverhalt wurde ebenfalls von den mitspielenden Kindern bezeugt.

Ein Vorkommnis gilt als unvorhersehbar, nicht wegen in einer unklaren Verwirklichungsmöglichkeit (sonst wäre ja alles vorhersehbar), sondern wegen der Tatsache, dass es eigentlich gar keinen besonderen Grund gibt, dass ein bestimmtes Vorkommnis sich ereignen würde (siehe z.B. TAL, 1. März 1989 und Le Tourneau, La responsabilité civile, 3e édition, p. 240, B, Imprévisibilité).

Fahrer P. hatte hier keinen besonderen Grund zu erwarten, dass das Kind B. plötzlich hinter einem Wagen hervorschießen und vor seinen Wagen stürmen würde. Folglich ist das Handeln des Kindes B. unvorhersehbar (1).

Da Herr P. mit mäßiger Geschwindigkeit (35 - 40 km/h) unterwegs war ergibt sich, dass der Vorwurf nicht rechtzeitig gebremst zu haben, unbegründet ist. In der Tat können die Eltern von B. nicht verlangen, dass Fahrer P., welcher von einem unvorhersehbaren Verhalten des Kindes B. überwältigt wurde, in einer Rekordzeit das richtige Ausweich- oder Bremsmanöver erfolgreich tätigt. Demnach ist der Grund der Unaufhaltsamkeit (2) ebenfalls erfüllt.

Aus diesen Gründen hält das Gericht fest, dass die Art und Weise mit der das Kind B. über die Strasse stürmte als ausschließlicher Unfallfehler gilt und zudem die Kriterien der Höheren Gewalt (1 + 2) erfüllt sind.

Fazit: Fahrer P. hat sich ganz aus der Schuldvermutung befreit und die Klage der Eltern wurde aufgrund von Art. 1384 abs. 1 LZGB als unbegründet verworfen.

(Bezirksgericht Luxemburg, 6. Januar 2004)

[Schuldvermutungsprinzip - Art 1384 abs. 1 Luxemburger Zivilgesetzbuch (LZGB) - Kind - Versteckspielen - Beschulbefreiung - Höhere Gewalt - schuldhaftes Handeln des Kindes]

Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la Cour