Sonntag, 2. Februar 2014

Kollisionsfreier Unfall - Schuldvermutungsprinzip ausgehebelt

Auf einer Landstraße unweit der Belgischen Grenze fuhr Frau H. aus einer Nebenstraße heraus auf die Nationalstraße. Herr K. fuhr auf Gegenfahrbahn der Nationalstraße und wurde plötzlich vom einfahrenden Wagen von Frau H. überrascht.

Die Überraschung von Herrn K. war umso grösser als Frau H. scheinbar mit ihrem Wagen auf die Gegenfahrbahn (Fahrbahn auf welcher Herr K. sich befand) vordrang.

Um die Kollision zu meiden, tätigte Herr K. ein ausweichendes Manöver und zog stark nach rechts. Dieses Ausweichmanöver verlief jedoch alles andere als glimpflich und Herr K. überschlug sich und landete kopfüber im Straßengraben.

Herr K. klagt gegen Frau H. und gedenkt sich das Schuldvermutungsprinzip aufgrund von Art. 1384 abs. 1 LZGB zunutze zu machen. Frau H. und dessen Versicherungsgesellschaft hingegen finden, dass das Schuldvermutungsprinzip aufgrund von Art. 1384 
abs. 1 LZGB keine Anwendung findet da es zu keinem Zusammenstoß kam.

Um in diesem Fall das Schuldvermutungsprinzip anzuwenden behaupten Frau H. und dessen Versicherungsgesellschaft, Herr K. müsse den Beweis erbringen, dass der Wagen von Frau H. aktiv in den Unfall verwickelt war und sich zudem in einer anormalen Stellung befand, welche kausal mit dem entstandenen Schaden zusammenhängt.

Herr K. beruft sich auf den im gegenseitigem Einverständnis angefertigten Unfallbericht (constat à l'amiable) und vertritt die Ansicht, dass die Skizze des Unfallberichtes die anormale Stellung des Wagens von Frau H. ausreichend beweist.

Das Gericht befindet, dass das Opfer, bei einen kollisionsfreien Unfall mit einem entseelten Sachobjekt (chose inanimée), wie z.B. einem Pkw, den Beweis bringen muss, dass dieses entseeltes Sachobjekt zum Verwirklichung des Unfalls beigetragen hat, sei es durch ein anormales Verhalten, oder durch eine anormale Stellung.

Ein Unfallbericht gilt nach Auffassung des Gerichts, als außergerichtliches Geständnis, falls die geschilderte Sachlage oder die angefertigte Skizze genügend Hinweise und ausführliche Angaben beinhaltet, um den Unfallhergang schlüssig aufzuklären.

Obwohl das Gericht aus der Skizze herleiten kann, dass der Wagen von Frau H. auf die Fahrbahn von Herrn K. vordrang, geht jedoch nicht schlüssig aus dieser Skizze hervor, ob es sich, um einen weitgehenden oder leichten Eingriff handelte.

Da die Skizze den Sachverhalt nur ungenau schildert, die Eingriffsbreite bestritten ist und diesbezüglich kein Beweisantrag mittels Zeugen gestellt wurde, ist nicht bewiesen, dass der Wagen von Frau H. eine anormale Stellung einnahm.

Aus Mangel an Beweisen zur anormalen Stellung findet das Schuldvermutungsprinzip keine Anwendung und die Klage wird vom Gericht als unbegründet zurückgewiesen.

Ebenfalls befindet das Gericht, dass Frau H. keinen Fahrfehler beging, sodass keine deliktische Haftung gemäß Art. 1382 u. 1383 LZGB gegeben ist.

(Bezirksgericht Luxemburg, 6. Juli 2000)

[Schuldvermutung - Art 1384 abs. 1 Luxemburger Zivilgesetzbuch (LZGB) - Schuldvermutungsbefreiung - deliktische Haftung - anormale Stellung - aktive Rolle - Unfallbericht]


Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la Cour