Sonntag, 18. Dezember 2016

Das Kabelproblem

Bei Bauarbeiten am Friedensgericht in Esch-Alzette ist eine Passantin über ein Kabel gestolpert und hat sich Verletzungen am Gesicht zugezogen.

Die Verletzte klagt gegen die Baufirma und die Gemeindeverwaltung und verlangt u.a. Schadensersatz für Körperverletzung auf der Grundlage von Artikel 1384 Abs. 1, 1382 und 1383 LZGB.  

Da ein Kabel per se nicht in Bewegung ist, muss die Klägerin, falls Sie die Haftungsvermutung von Artikel 1384 Abs. 1 LZGB nutzen möchte, den zusätzlichen Beweis erbringen, dass das Kabel eine aktive Rolle spielte und das Verhalten des Kabels als anormal zu werten ist.

In erster Instanz gibt das Friedensgericht der Klägerin recht und hielt fest, dass wegen mutmasslich abwesender Beschilderung das Kabel ein anormales Verhalten ("comportement anormal") gehabt hätte. Die Baufirma lässt diese Urteilsfindung nicht gelten und legt Berufung ein.

In der Berufungsinstanz werden alle Argumente neu vorgelegt. Das zuständige Gericht untersucht die Sachlage und befindet, dass die vorgelegten Fotos der Baufirma, gemeinsam mit der eidesstattlichen Erklärung des Bauleiters, den Sachverhalt objektiv zum Zeitpunkt des Unfalls belegen können. Entgegen dem Urteil aus erster Instanz erscheint der Sachverhalt nun wie folgt:  
Ein Kabel war Aüber die Strasse verlegt. Vor und hinter dem Kabel befanden sich Bretter die das Kabel vom Abrollen abschirmten. Zudem war die Baustelle von Sicherheitsgeländern umgeben. Die Fotos und Beweise, die die Verletzte vorbrachte, stammen zeitlich nach dem Unfall, sodass nicht auszuschliessen ist, dass das Kabel und die Schutzbretter entfernt wurden und durch andere Sicherheitsmassnahmen ersetzt wurden. Das Berufungsgericht muss sich jedoch mit dem Sachverhalt zum Zeitpunkt des Unfalls befassen.

Das Berufungsgericht erinnert, dass ein Sachverhalt als anormal einzustufen ist, falls unter gegebenen zeitlichen und örtlichen Umstandsbedingungen dieser Umstand nicht vernünftig vorhersehbar ist (TAL, 25. Januar 1982, CFL ./. Staat, bestätigt durch Cour, 29. April 1985). Umgekehrt gilt ein Umstand als normal falls unter gegebenen zeitlichen und örtlichen Umstandsbedingungen ein durchschnittlich vorsichtiger und sorgsamer Bürger mitsamt seiner Lebenserfahrung die Eigenschaften des Umstandes einschätzen kann (TAL, 20. Januar 1992, n°129/91).

Für das Berufungsgericht lässt die Kabelverlegung und die Beschilderung zum Unfallzeitpunkt nicht auf ein anormales Verhalten schliessen. In der Tat, sagt das Berufungsgericht, muss ein 10 Zentimeter dickes Kabel, das beidseitig von dicken Brettern und von Leitkegeln umgeben ist, zur Vorsicht für einen durchschnittlich vorsichtigen und sorgsamen Bürger anmahnen.

Da in diesem Fall kein anormales Verhalten erwiesen ist, findet Artikel 1384 Abs. 1 LZGB keine Anwendung. Abschließend, da weder der Baufirma oder der Gemeindeverwaltung ein Fehler angelastet werden kann finden weder Artikel 1382 LZGB noch Artikel 1382 LZGB  Anwendung.

Demnach sind die Rechtsmittel in Berufung begründet und die Klage der verletzten Klägerin wird als unbegründet verworfen.

(Bezirksgericht Luxemburg, 18. Oktober 2016)

[Kabel - Art 1384 Abs. 1, Art 1382, Art 1393 Luxemburger Zivilgesetzbuch (LZGB) - anormales Verhalten – aktive Rolle - Sicherheitsmassnahmen]


Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la Cour