Wer kennt diese beklemmende Lage nicht. Ein
PKW Fahrer fährt an einem Taxi vorbei wo gerade Kunden ein- oder aussteigen. Eine
Tür schwenkt plötzlich auf und, um Haaresbreite, konnte ein Unfall vermieden
werden.
Dem war nicht so am 21. November 2011 in
der Schefferallee nahe beim Glacisfeld in Luxemburg-Stadt. Gegen 9.00 Uhr lud
ein Taxi Kunden in sein Fahrzeug. Einer der Kunden stieg auf der Strassenseite
ein. Beim Schliessen der Tür fuhr ein PKW zu nahe am Taxi vorbei wodurch dessen
Seitenspiegel beschädigt wurde.
Die Unfallbeteiligten sowie deren
Versichungen konnten sich nicht einigen und die Versicherung des
vorbeifahrenden PKW Fahrers klagte gegen die Taxigesellschaft.
Die Versicherungsgesellschaft klagt auf
Schuldvermutung aufgrund von Art. 1384 abs. 1 LZGB und führt an, dass die Tür
in Bewegung war und es zur Kollision von zwei sich bewegenden Teilen kam. Zudem
vertritt die Versichungsgesellschaft die Ansicht der Taxifahrer der Wärter des
Wagens, wobei die Obhut von Tür und Wagen unzetrennlich sind.
Der Taxifahrer sieht die Sachlage ganz
anders und behauptet einerseits der Kunde sei Wärter der Tür geworden und die
Obhut von Tür und Wagen wären sehr wohl teilbar. Ferner behauptet der Taxifahrer
der vorbeifahrende PKW Fahrer hätte fehlerhaft gehandelt und gegen Art. 140
StVO gestossen. Dieser Verstoss wäre umso gravierender, da die Hintertür des
Taxis maximal auf 45° geöffnet war.
Das Gericht befindet, dass die Obhut von Tür
und Wagen unzetrennlich sind. Dieses Prinzip findet ebenfalls Anwendung wenn
ein Kunde ein- oder aussteigt. Demnach lastet das Schuldvermutungsprinzip auf
dem Taxifahrer.
Um sich aus dieser Haftungsvermutung zu
befreien muss der Taxifahrer den Beweis der Höheren Gewalt erbringen. Die
Sachlage lässt das Gericht darauf schliessen, dass der Unfall auf den
alleinigen Fehler des PKW Fahrers zurückzuführen ist. Dieser Fehler trägt
ebenfalls die Eigenschaften der Höheren Gewalt da das Fahrverhalten des PKW
Fahrers für den Taxifahrer unvohersehbar und unüberwindbar war.
Da das Schuldvermutungsprinzip
zurückbehalten wurde, sah das Gericht keinen Anlass auf die deliktische Haftung
aufgrund von Art. 1382 und 1383 LZGB einzugehen.
(Friedensgericht Luxemburg, 27. November
2014)
[Schuldvermutung - Art 1384 abs. 1
Luxemburger Zivilgesetzbuch (LZGB) – Art 140 Strasenverkehrsordnung (StVO) - Schuldvermutungsbefreiung
- deliktische Haftung – offene Tür – Höhere Gewalt]
Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la
Cour
Kommentar:
In diesem Urteil ging das Gericht sehr
pragmatisch vor und wandte Art. 1384 abs. 1 LZGB streng an.
Dieser Artikel des LZGB sieht nämlich u.a. vor,
dass der Wärter von beweglichen Gegenständigen dem Prinzip der
Haftungsvermutung unterliegt. Hier stellte sich konkret die Fragen: welches
Teil ist in Bewegung und wer ist Wärter.
In diesem Fall galt es für das Gericht zu
bestimmen op es zu einer Übertragung der Obhut vom Taxifahrer auf den Passagier
kommen kann wenn dieser die Tür beim Ein- oder Aussteigen tätigt. Diese Lösung
wäre theoretisch möglich, da zu einem gewissen Zeitpunkt der Fahrgast die
Führung, die Kontrolle, die Nutzung der Tür inne hat.
Eine solche Obhutsübertragung hätte jedoch
zur Konsequenz gehabt den Taxifahrer und dessen Pflichtversicherung für das Fahrzeug
auszuhebeln.
Obwohl diese Lösung möglich wäre hält das
Gericht eine andere Lösung zurück und sagt der Taxifahrer wacht über das ganze
Taxi, ganz egal ob ein Fahrgast eine Tür öffnet oder schliesst. Der Taxifahrer
kann sich aus der Haftungsvermutung befreien, falls erwiesen ist, dass das
Verhalten des PKW Fahrers, das den Prinzipien der Höhreren Gewalt entsprechen muss, den Taxifahrer in
eine Sachlage gebracht hat die für letzteren unvorhersehbar und unüberwindbar
war.
In diesem Fall hat das Gericht die Höhere
Gewalt zurückbehalten. Diese Analyse des Gerichts beruht jedoch auf der
alleinigen Auslegung des Sachverhalts und darf auf keinen Fall so verstanden werden,
dass es hier einen Freischein für den Taxifahrer oder dessen Fahrgast gibt.
Man darf gespannt sein wie die Gerichte
künftig in ähnlichen Fällen entscheiden werden.