Deliktische Haftung beschränkt sich nicht nur auf Verkehrsunfälle, sondern betrifft alle möglichen Bereiche.
So kam es auch in diesem Fall wo zwei Gesellschaften im Jahr 2013 eine Absichtserklärung ("Letter of Intent") abgeschlossen hatten um schädliche Abgase aus einer Fabrik aufzufangen und über ein Cogenerationssystem aus diesen Abgasen Strom und Hitze zu gewinnen. Die Eigentümergesellschaft der Fabrik sollte die ein Teil des Geländes und die Abgase gegen Entgeld zur Verfügung stellen und der Vertragspartner sollte mittels einer Betreibergesellschaft die Cogenerationsanlage bauen und betreiben.
Aufgrund dieser Absichtserklärung und der innovativen Technik erhielt die Eigentümergesellschaft der Fabrik im Jahr 2014 eine Zusage über eine staatliche Finanzierungshilfe in Höhe von 39% des Kapitaleinsatzes ohne den Betrag von 2,2 Millionen Euro zu übersteigen. Es war angedacht, dass diese Finanzierungshilfe an die Betreibergesellschaft weitergeleitet wird.
Im Jahr 2014 erhielt die Eigentümergesellschaft der Fabrik ebenfalls die Genehmigung eine Cogenerationsanlage zu bauen und zu betreiben.
Die Betreibergesellschaft hatte jedoch nicht genug Eigenmittel diese Cogenerationsanlage zu finanzieren und machte sich im Jahr 2015 proaktiv auf die Suche nach einem Finanzpartner. Die Betreibergesellschaft wandte sich an die Eigentümergesellschaft die jedoch dankend ablehnte, da letztere nicht bereit war die Rolle und das Risiko des Finanzpartners zu tragen.
Ein möglicher Partner wurde ausfindig gemacht. Dieser Partner war aber nur an der Finanzierung interessiert, falls er die Anteile der Betreibergesellschaft übernehmen konnte. Aus diesen Verhandlungen wurde nichts, da beide Gesellschaften keine Einigung über den Verkaufspreis der Anteile fanden.
Inzwischen waren mittlerweile 2 Jahre vergangen und die Eigentümergesellschaft der Fabrik hat die Betreibergesellschaft wissen lassen, dass kein weiterer Verzug in der Umsetzung (Bau und Finanzierung) der Cogenerationsanlage geduldet werde.
Im Juni 2015 meldet die Betreibergesellschaft der Eigentümergesellschaft einen neuen Investor gefunden zu haben der bereit wäre nach einem sehr kurzen Prüfungsverfahren ("due diligence") einzusteigen. Die Eigentümergesellschaft erklärt sich bereit den neuen Investor zu begegnen und betont mit Nachdruck, dass der Bau zeitnah beginnen müsste. Nach entsprechender Prüfung zieht sich der neue Investor überraschend zurück.
Ende 2015 steht die Betreibergesellschaft immer noch ohne Investor da.
Im März 2016 erklärt die Eigentümergesellschaft der Fabrik, dass Sie die Absichtserklärung fristlos kündigt mit der Begründung, dass der Bau der Cogenerationsanlage unter fernen Liefen stünde nicht zu sprechen von der Tatsache, dass die Eigentümergesellschaft der Fabrik eine neue Lösung zur Behandlung der Abgasbelastung finden müsse.
Im Oktober 2016 lässt die Eigentümergesellschaft weiters wissen, dass keine Möglichkeit bestünde mit der Betreibergesellschaft und deren Vertreter über ein neues Projekt zu verhandeln. Dies gesagt erklärt sich die Eigntümergesellschaft bereit die geleistete Arbeit entsprechend zu entschädigen im Hinblick auf eine gütliche Einigung.
Die Betreibergesellschaft will nicht von diesem Vorschlag wissen und verklagt die Eigentümergesellschaft auf rund 444.000,00 Euro Schadensersatz und fusst seinen Antrag schuldhafte Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Mit anderen Worte die Betreibergesellschaft klagt auf der Grundlage der deliktischen Haftung.
Das Gericht stützt sich auf die Rechtlehre und erklärt, dass ein Angebot Gespräche zu führen, Vorverträge, Angebote und Gegenangebote keinen Vertrag bilden. Es handelt sich um ein einfaches Vorspiel ("simples préliminaires"), ein Herantasten, das den Weg ebnet für eine mögliche Vertragsbildung. Da diese Handlung vor der Vertragsbildung erfolgen, sind Vorgespräche prinzipell rechtlich nicht bindend für die jeweiligen Parteien (siehe Olivier Poelmans, Le droit des obligations au Luxembourg, p.35).
Die Rechtsprechung räumt jedoch ein, dass obwohl die Parteien zu jenem Zeitpunkt vertraglich nicht gebunden sind, haben die Parteien gewisse Pflichten dem anderen gegenüber und diese Pflichten können durch die deliktische Haftung Namens "culpa in contrahendo" bestraft werden (Cour, 13 février 2008, Pas. 34, p.155).
Die Parteien haben somit die Pflicht aufrecht weiterzuverhandeln. Die Rechtsprechung erkennt hier eine Loyalitätspflicht in der Vorvertragsphase. Diese Pflicht wird besonders erkenntlich beim missbräuchlichen Abbruch der Verhandlungsgespräche.
Somit muss der Abbruch der Verhandlungsgespräche loyal und begründet erfolgen.
Es muss kein vorsätzlicher Fehler vorliegen. Den Vertrauensgrundsatz zu verletzen genügt als Fehler, um in die Haftung genommen zu werden. Der Beweis der Böswilligkeit ("mauvaise foi") genügt um diesen Fehler zu umreissen.
Es ist auch ein Fehler den Verhandlungstisch abrupt und grundlos zu verlassen. Fehlerhaft ist auch den Glauben beim Verhandlungspartner auf eine sichere Vertragschliessung erwecken zu lassen und die Gespräche einfach grundlos zu beenden.
Bei der Fehlerermittlung werden mehrere Parameter in Betracht gezogen: der Fortschritt der Verhandlungsgespräche, die Wichtigkeit und die Eigenart des möglichen Vertrages, die Eigenschaft des Vertragspartners (Fachmann oder Laie), Vorliegen von einem Angebot, die Genauigkeit Angebotsbedingungen und deren Fristen (siehe Olivier Poelmans, Le droit des obligations au Luxembourg, p.36).
Die Parteien bleiben frei die Verhandlungsgespräche zu beenden, falls kein konkretes Angebot vorliegt oder falls der Abbruch loyal und mit Grund erfolgt. Als Fehler gilt wenn ein Verhandlungspartner nicht angemessen verhandelt, die Verhandlungsgespräche unnötig in die Länge zieht oder die Verhandlungsgespräche fristlos beendet (Georges Ravarani, La Responsabilité des Personnes Privées et Publiques, 3e édition, 2014, Pasicrisie, p.512).
Mit der Unterstützung von diesen Rechtsprinzipien findet das Gericht, dass die Absichtersklärung im Jahr 2013 unterschrieben wurde. Die Eigentümergesellschaft hat seinerseits zeitnah nicht nur alle erforderlichen Anträge und Genehmigungen eingeholt sondern ebenfalls eine staatliche Finanzierungshilfe von bis zu 39% der Gesamtinvestition gesichert. Die Betreibergesellschaft hat es hingegen vermisst binnen 3 Jahren die restliche Finanzierung in Höhe von 61% zu sichern zum Bau der Cogenerationsanlage.
Auch wenn Fragen vertraglicher Natur wie die Teilabtretung des Erbpachtvertrages oder die Nutzung der Abgase nicht geregelt waren, geht jedoch eindeutig aus dem Sachverhalt hervor, dass die Betreibergesellschaft bis 2015 keinen Investor für die Finanzierung der fehlenden 61% gesucht hat, wobei die Sicherung der Finanzierung massgebend ist für die Verwirklichung des Projektes.
Zu unnötigen Zeitverlust kommt hinzu, dass die staatliche Finanzierungshilfe an gewissen Fristen gebunden war. Hier wurde angegeben, dass die Verwirklichung bis zum 31. Dezember 2015 zu erfolgen hätte, und dass der 31. Dezember 2015 das letzte Datum für einen Zahlungsantrag nach Fertigstellung der Anlage gewesen wäre. Da der Bau der Cogenerationsanlage selbst 11 Monate in Anspruch nimmt hat es die Betreibergesellschaft verfehlt grundlegende Voraussetzungen für die Verwirklichung der Cogegenerationsanlage zu beachten.
Da die Eigentümergesellschaft mehrmals schriftlich auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Verwirklichung des Projektes gepocht hatte, kann das Gericht keinen Grund finden, dass die Eigentümergesellschaft fehlerhaft gehandelt hätte.
Aus diesen Gründen finden die Richter, dass die Bedingungen der "culpa in contrahendo" nicht erfüllt sind und die Betreibergesellschaft geht leer aus mit seinem Haftungsanspruch.
(Bezirksgericht Luxemburg, Handelskammer, 21. Februar 2018
[Verhandlungsgespräche, Abbruch, culpha in contrahendo]
Veröff. von Me Henry DE RON, avocat à la Cour